Feindschaften führen zu oft fragwürdigen Allianzen. Wo es aber um die „Kunst der Feindschaften“ geht, können auch schöne wie jene zwischen der Literaturzeitschrift Wespennest und dem Festival der Regionen entstehen. Das Resultat ist die Nummer 131 des Wespennest, ganz von „Feindschaft“ durchdrungen. Die Gedanken und Beobachtungen dazu haben der Essayist und Autor Lothar Baier, der Literat György Dalos (dessen Text zugleich die Eröffnungsrede des Festivals der Regionen 2003 ist) und die Natur- und Kulturwissenschafterin Lydia Hartl (darüber hinaus auch Kulturdirektorin der Stadt München und Mitglied des Festival-Beirats 2002) notiert. Außerdem enthält das Heft einen Essay des Wespennest-Mitbegründers Peter Henisch und die Textstrecke „Mein Lieblingsfeind“ mit anlässlich des Festivals entstandenen Beiträgen von Karin Fleischanderl, Franzobel, Jan Koneffke, Robert Schindel, Franz Schuh und Marlene Streeruwitz. Lothar Baier stellt die Frage: „Wie bastle ich mir moralisch einen Feind?“ und liefert in der Antwort eine „Kleine Bauanleitung, verfertigt nach neuesten Praxiserfahrungen“. Mit Feinden, findet Baier, müsse haushälterisch umgegangen werden: „So viele gibt es davon heute nicht, und selbst welche herstellen, ist kompliziert, aufwändig und teuer. Man muss Fernsehketten, Filmstudios und Zeitungen sein eigen nennen.“ Mit diesen wird der zum Feind Auserwählte (zuerst die Taliban, dann Saddam Hussein) lauthals der Lüge bezichtigt, bevor ihm dann die Moral abgesprochen wird. Und schon liegt ein prächtiger Kriegsgrund vor. Geht das so einfach? So einfach geht das. „In Feindschaft leben“ steht lapidar über György Dalos‘ Text. Dalos führt zunächst ins Ungarn der 1970er Jahre („Probleme gab es fast keine, aber jeder konnte sich endlos beschweren.“), von dort ins Verona von Shakespeares „Romeo und Julia“, dann nach Tschetschenien (wo selbst die damalige Supermacht UdSSR kein Mittel gegen die Blutrache wusste) und wieder zurück ins Ungarn des Wahljahrs 2002, wo die Spaltung der Gesellschaft in „wahre Patrioten“ und die „Anderen“ versucht wurde: „Ich hoffe, dass die ungarische Gesellschaft die ihr aufgezwungenen Feindschaften niemals ernst nehmen wird.“ Lydia Hartl übernimmt mit „Kunst der Feindschaft und Kontrolle der Bilder“ den beeindruckenden „Versuch einer Kritik“, der sich intensiv mit den Ursprüngen (Angst) und dem Wesen (auf Vernichtung zielend) von Feindschaften auseinandersetzt und dabei den Streit um die Macht der Bilder hervorhebt. Wer Kontrolle über die Bilder hat, hat Macht über die Weltbilder. Denn: „Wir werden, was wir sehen“. Nach dem Roman „Die kleine Figur meines Vaters“ setzt Peter Henisch seinem Vater Walter Henisch mit „Feindbilder. Über die Kriegsfotos meines Vaters“ ein weiteres, wenn auch kleineres Denkmal. Walter Henisch, Sohn einer jüdischen Mutter, begleitete als Kriegsfotograf der Propagandakompanie die Nazi-Invasionen in Polen und in die Sowjetunion und arbeitet als hervorragender Fotograf nicht unbeträchtlich an der Herstellung der von oben verordneten Realität mit: Landserromantik auf deutscher, demoralisierte „Untermenschen“ und kampfesmüde Sowjets auf der anderen Seite.
Archiv - Festival der Regionen 2003
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