Archiv - Festival der Regionen 2003

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FDR 2003

Mein Lieblingsfeind

Literarisch-musikalisch-kulinarische Matinee mit den AutorInnen, SchauspielerInnen und Kohelet 3; Thomas Wördehoff, Kulturpublizist, Dramaturg der Ruhr-Triennale und anno 2002 Beirat des Festivals der Regionen, hatte die Idee: Wo es doch in der Literatur vor Feindschaften nur so wimmelt, warum nicht gleich ausgewählte AutorInnen bitten, ihren jeweiligen Lieblingsfeind zu porträtieren? Walter Famler, Herausgeber der Literaturzeitschrift Wespennest, half beim Auswählen und Einladen der LiteratInnen. Der Einladung, sich dem Lieblingsfeind zu stellen, folgten schließlich Karin Fleischanderl, Franzobel, Jan Koneffke, Robert Schindel, Franz Schuh und Marlene Streeruwitz. Schwarz auf weiß nachzulesen im Wespennest Nummer 131 – und bei einer literarisch-musikalisch-kulinarischen Matinee in der Hofbühne Tegernbach am letzten Festivaltag zu erleben. An verschiedenen Schauplätzen im und um den prachtvollen Vierkanter nahe Bad Schallerbach stellen Karin Fleischanderl, Franzobel, Jan Koneffke und Marlene Streeruwitz ihre Texte persönlich lesend vor; Robert Schindel und Franz Schuh werden stimmlich von Wespennest-Herausgeber Walter Famler und Festivalleiter Ferry Öllinger vertreten. Davor, dazwischen und danach zieht das fulminante Ensemble Kohelet 3 mit jiddischer und Klezmermusik, Roma-Liedern und Weisen aus Osteuropa musizierend durch die Hofbühne. Marlene Streeruwitz‘ Feindschaftserklärung – verbunden mit der Weigerung, „erholsam Kluges bei Kaffee zu schreiben“ – gilt den süffisant formulierten Lieblingsfeindschaften im Stile der Kaffeehausliteratur, die den Leser zum Komplizen macht und sich aus einem abgenutzten Lager zum Klischee verkommener FeindInnen von der Familie bis zum Vorgesetzten bedient. Franz Schuh versammelt unter dem Titel „Der moralische Inhalt des H“ Grundlagen „Zu einer Metaphysik der Feindschaft“. Worin liegt die Lösung des Problems der Feindschaft? In der Vernichtung oder zumindest der schweren Schädigung des Feindes. Ist solcherlei emotionale Gewalt nicht mehr im Spiel, so handelt es schon um eine zur Gegnerschaft abgeschwächten Rivalität. Wem steht der Mensch am nächsten? Sich selbst. Und genau dort entdecken Franzobel und Robert Schindel ihren Lieblingsfeind. Schindel sieht ihn im Rokokospiegel eines Kaffeehaus als jenen, der ihm beständig in die Quere kommt; Franzobel in jenem inneren JA, das immer Lob und Bravos will und sich dafür nur allzu gerne verbiegt: „So wohnt mein ärgster Feind in mir, sagt Ja und sieht, dass auch in anderen dieselben Jasager wohnen (…).“ Jan Koneffke entdeckt seinen Lieblingsfeind rückblickend in jenem begeisterungsfähigen amerikanischen Studienkollegen, dem seine Offenheit in den kritischen StudentInnenkreisen als Oberflächlichkeit und sein Optimismus als notorische Dummheit ausgelegt wurde. „Und ich musste an meine Gespräche mit Jim Winchester denken und konnte es nicht mehr leugnen: Über Jahrzehnte waren die Amerikaner mit ihrem Patriotismus und Optimismus, ihrer Naivität und Toleranz meine liebsten Feinde gewesen.“ Karin Fleischanderl plagen andere Sorgen: „Mein Lieblingsfeind … ist der Kitsch. Der literarische Kitsch. Ich kann nicht von ihm lassen, ich bin ihm verfallen und dafür hasse ich ihn und mich.“ Was hat sie nicht alles versucht – doch weder die klugen Analysen von Adorno, Eco oder Bourdieu sind stark genug, die Sucht nach dem unwiderstehlichen Schrott im literarischen Mantel zu heilen. Fazit: „Ich indes mache mich auf die Suche nach neuem Lesestoff.“