Für das Festival der Regionen erfand François Davin mit Es war einmal ein sehr alter Stau eine Legende: Vor 150 Jahren, als die Summerauerbahn die Pferdeeisenbahn kreuzte und verdrängte, gab es einen schweren Verkehrsstau … In dem Wald, wo diese Kreuzung lag, plante er einen symbolischen Stau aus alten Pferdefahrzeugen, Kutschen und Schlitten. In Zusammenarbeit mit lokalen Landwirt*innen und Expert*innen hat der Künstler weltweit bereits über 200 „Zeremonien“ dieser Art realisiert.
Festivalbericht Andi Wahl
Es muss im März oder im April gewesen sein. Da hat mich der Otto vom Festival-Büro angerufen, ob ich einmal kommen könnt. Er hätte da ein Projekt, bei dem er mich brauchen würd. Bin ich hingefahren, eh klar! Wenn Otto ruft, meistens spannend. Der französische Künstler François Davin hatte ein Installationskonzept entwickelt, konnte es aber aus gesundheitlichen Gründen nicht selbst umsetzen. Anknüpfend an alte Verkehrswege zwischen Donau und Moldau hat er eine Legende entwickelt. Vor 150 Jahren, so François‘ Legende, als die Summerauerbahn die Pferdeeisenbahn kreuzte, gab es einen Verkehrsunfall, bei dem sich ein Stau gebildet hat, der bis heute in einem Waldstück nahe dem Bahnhof Summerau anhält. Meine Aufgabe sollte es sein, hat der Otto gesagt, diesen Stau herzustellen. Also alte, einstmals von Tieren gezogene Gefährte zusammenholen und zu einem Stau drapieren. Da ich als Zimmermann und Tischler ja eh so etwas Ähnliches sei wie ein „Wagner“, könnte ich die Gefährte ja sicherlich auch zusammenflicken. Der Otto, musst du wissen, der hat ein G’spür für die Leut! Der weiß genau, wen er womit einfangen kann. Wurscht jetzt!
Die Sache passte wirklich zu mir. Hat mir auch wirklich Freude bereitet, auf die Besitzer*innen der alten Gefährte zu treffen und ihnen die Idee von François zu erklären. Vieles wurde uns dann kurzerhand geschenkt. Ich mag die unkomplizierte und entgegenkommende Art, wie solche Dinge hier gehandhabt werden. Eine Art, die mir vor allem im Mühlviertel immer wieder begegnet (was wohl auch daran liegt, dass ich mich meist hier aufhalte).
Beim Transport und insbesondere beim Zusammenbau der Gefährte – viele waren ja nur in Einzelteilen erhalten – hab ich immer wieder an den italienischen Komponisten Luigi Nono (1924-1990) denken müssen. Der war zum einen Vertreter der „seriellen Musik“, sprich a-tonal, Darmstädter Schule, wenn dir das etwas sagt. Wurscht! Zum anderen war er ein sehr engagierter Kommunist. Und da hatte er das Problem, kannst dir eh denken, dass seine proletarischen Genoss*innen so gar nix mit seiner Kunst anfangen konnten. Er hat das aber gelöst, der Luigi Nono. Bei Musiktheaterprojekten, Opern und so Zeugs, hat er die Inszenierung gemeinsam mit Handwerkern entwickelt. 67
Also Schmied, Zimmermann, Bühnenbauer und deren Kompetenzen mit eingebunden. So sind sich Komponist und Handwerker auf Augenhöhe begegnet und hat Verständnis für die Tätigkeit des jeweils anderen entwickelt. Super Ansatz und aus meiner Sicht sehr nah dran an der Grundphilosophie des Festivals der Regionen. Kann man auch anders sehen, von mir aus. Auf jeden Fall glaub ich, dass der Luigi Nono eine Freud gehabt hätt, wenn er den Graser Heinrich, den Glasner Alois und mich gesehen hätte, wie wir im Wald die Wägen herumschieben und uns redlich bemühen, das künstlerische Konzept von François Davin umzusetzen. Wirklich beobachtet wird uns der Nono aber nicht haben, weil der als Kommunist ja sicher auch Atheist war. Und Atheisten wird nach ihrem Ableben das Licht ausgeknipst. Glaub ich halt. Andererseits war Nono auch Italiener, wie Giuseppe („Peppone“) Bottazzi. Und so gesehen… Wurscht!
Ich hab auf jeden Fall bei dem Projekt viel über Radschuhe, Drehschemellenkungen und Kippen gelernt. Aber nicht nur das. Ich bin wieder mal so richtig unter Leute gekommen und hab sogar selbstgebrautes Bier und Whiskey aus Eigenanbau verkostet. Ja und ein Lamm-Beuschel wurde mir auch einmal aufgetischt. Ich habe dieses Projekt sehr gerne gemacht. Die Fahrzeuge habe ich alle zu mir heimgebracht. Und während ich diese Zeilen schreibe, kommen immer wieder Leute, um sich Wägen, Wagenräder, Spindeln sowie Vorder- und Hinterachsen abzuholen. Teilweise, um die Sachen zu restaurieren, teilweise für Dekorationszwecke. Die Wägen und ihre Einzelteile bleiben also in Bewegung. Was kann es Schöneres geben für so ein Gefährt?
Konzept und Idee: François Davin
Umsetzung: Andi Wahl
Dank an die Landwirt*innen: Gottfried Pachinger, Josef Viehböck, Sonja und Walter Sengstschmid, Gerald Koller, Josef Engelmann, Helene und François Touze-Affenzeller, Johann Freudenthaler, Ernst Freudenthaler, Michael Fleischanderl, Marianne und David Lechner, Familie Friesenecker, Familie Rohrmanstorfer
sowie Conny Wernitznig, Friedrich Stockinger und Bettina Preinfalk (Verein Freunde der Pferdeeisenbahn), Nicole Wegscheider und Fritz Fellner (Schlossmuseum Freistadt), Florian Böttcher, Otto Ruhsam, Roman Glaser, Alois Glaser, Heinrich Graser und Gottfried Pachinger
Dokumentation
Impressionen
CV
Die Kunst von François Davin ist ein Dialog mit jedem Ort, zu dessen Gestaltung er eingeladen wird. Er „spricht“ mit diesen Orten, mit ihrer Landschaft, Geschichte, Geologie, Flora und Fauna, mit ihren Funktionen und Potenzialen. Immer wieder hat er festgestellt, dass dieser Ansatz es ihm ermöglicht, die Bewohner*innen des jeweiligen Ortes miteinzubeziehen, in eine Art von „Festakt“ für ihr Territorium. François Davin hat auf fünf Kontinenten über 200 Projekte realisiert und wurde in Frankreich zum Künstler geschlagen.