Archiv - Festival der Regionen 1995

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FDR 1995

Die Achse des Ofens – Das Projekt St. Peter

Eine Nachtreise mit der Werksbahn – Frühjahr 1938: Auf Befehl Hitlers muss St. Peter, ein idyllischer Vorort von Linz, dem Erdboden gleichgemacht werden. Wohnhäuser stehen in der Achse des Hochofens. Die Bewohner müssen ohne Verzug abgesiedelt werden. Eine Heimat verschwindet, eine neue entsteht. Am 4. Mai 1938 erfolgt die Gründung der Reichswerke AG für Erzbergbau und Eisenhütten „Hermann Göring“ Linz. Am 13. Mai 1938 erfolgt der feierliche Spatenstich. Am 1.Juli 1938 beginnt der Bau. Beim Graben der Fundamente für die Industrieanlagen stößt man auf die letzten Ruhestätten von Menschen, für die dieser Landstrich vor mehreren tausend Jahren (Bronzezeit) Heimat war. Interviews mit dem Rechtsanwalt Johannes Meissner, ehemaligen Bewohnern von St. Peter und Recherchen im Geschichteclub der VÖEST führten zu einem intensiven Umgang mit dem Phänomen Heimat. Eine archäologische Arbeitsweise förderte Schicht für Schicht einer verschwundenen Welt zutage. Das Projekt „Die Achse des Ofens“ findet seinen Platz am Areal der VÖEST-ALPINE Linz. In speziell umgebauten Waggons gelangt das Publikum mit der Werksbahn auf die Erzhochbahn zur Achse der Hochöfen. An Haltepunkten werden Bilder und Hörerlebnisse vermittelt, die sich auf den verschwundenen Ort St. Peter beziehen und das Leben der Bewohner und ihrer Heimat beleuchten. St. Peter als Metapher für Vergänglichkeit und Heimat. Kompositionen, gesprochenen Texte und Klänge begleiten die Reisenden an visuell gestalteten Blickpunkten durch die Industrielandschaft der VÖEST. – St. Peter, ein unbekannter Ort – Anfang der 50er Jahre war mein Stiefvater als Dreher in den Josefi-Werken beschäftigt. Dem Arbeitsplatz in der VÖEST war eine neun Quadratmeter-Bleibe in einer Wohnbaracke zugeteilt. Sehr eng für eine dreiköpfige Familie. Gleichzeitig konnte ich mich aber als Fünfjähriger auf dem größten Spielplatz der Welt herumtreiben: dem VÖEST-Gelände. Mein Stiefvater wurde entlassen, weil er mir zu meinem Geburtstag ein Tretauto aus Schrottmaterial basteln wollte. Plötzlich musste ich mein riesiges Fantasieland verlassen. Zwanzig Jahre später kehrte ich als Techniker der VÖEST auf den Spielplatz meiner Kindheit zurück. Erinnerungen holten mich ein. Bald fand ich das baufällige, aber herrschaftlich wirkende Wohnhaus inmitten der Industrielandschaft, das mich an meine Kindheit erinnerte. Wie damals stellte ich keine Fragen. Und so blieb mir St. Peter und seine Geschichte weiterhin verborgen. Ich musste mich ein weiteres Mal von der VÖEST verabschieden, um auf die Spur von St. Peter zu gelangen. Der Umweg hieß Theaterarbeit und die Faszination des LD 1 – eine aufgelassene Stahlwerkshalle. Dieses gewaltige Industriedenkmal in seiner Einmaligkeit einem Publikum näherzubringen, übte auf mich einen unwiderstehlichen Reiz aus. Auf der Suche nach Geldgebern und Partnern stieß ich auf das Festival der Regionen und fand zwei kongeniale Partner für das Unternehmen: den Regisseur Uwe Dörr und den Komponisten Peter Androsch. Heimat. Heiße Heimat. – Erst die Recherchen zu unserem künstlerischen Vorhaben führten uns 57 Jahre zurück, in das verschwundene Dorf St. Peter